Grenzsteinzeugen

Grenzsteinzeugen aus Obermusbach

Schon seit über 5000 Jahren gibt es Grenzsteine, und jeder einzelne ist in der Lage, ein Stück Geschichte der damaligen Zeit zu transportieren und den Archäologen und Historikern Anhaltpunkte für die Bedeutung von Grund und Boden in dieser Zeit zu vermitteln.
Bei den Grenzsteinzeugen handelt es sich nun um Gegenstände, die mit etwas Abstand unter die Grenzsteine gelegt wurden.
Die Verzeugung hatte ihre Blütezeit im 18. und 19. Jahrhundert. Sie war die unterirdische Absicherung eines Grenzsteines mit eigens dafür aus regional unterschiedlichen Materialien hergestellten „Beilagen“ – eben den Zeugen – und dokumentierte die Rechtssicherheit an den Liegenschaften.
Die Verzeugung erfolgte von so genannten Untergängern nach geheim gehaltenen unterschiedlichen Ritualen.
Seit etwa 1965 wird in Württemberg nicht mehr verzeugt. Moderne computergesteuerte Messmethoden mit elektrooptischen Distanzmessern oder GPS (globales Navigationssatellitensystem zur Positionsbestimmung) ermöglichen eine zweifelsfreie und mit höchster Genauigkeit garantierte Wiederbestimmung der Grenzen.
Im Württembergischen waren für die Verzeugung der Grenzsteine die Untergänger und in Streitfällen die Untergangsgerichte zuständig. Die Bestimmung über die Zusammensetzung und die Bestellung der Untergangsgerichte in Württemberg gehen schon auf das Landrecht von 1555 zurück. Danach sollten nur unparteiische, sach- und ortskundige, besonnene Männer, die hohes Ansehen und uneingeschränkte Autorität genossen, als Untergänger gewählt werden. Sie mussten einen Eid ablegen.
Nur den Untergängern stand das Recht zu, Grenzsteine zu versetzen, zu entfernen und aufzurichten.
Beim Steinsatz (so nennt man das Setzen von Grenzsteinen) waren von den Untergängern in Richtung der abgehenden Grenzen neben dem Fuß des Grenzsteines geheime Zeugen in Form von Bruchstücken von zerschlagenen Steinen, Dachplatten, Ziegelstücken oder Kieseln – diese mussten an einem Grenzstein zusammenpassen – sowie Glas, Topf- oder Porzellanscherben, Münzen oder Kohlestücke einzulegen. Bei der Verzeugung durfte außer den Untergängern niemand zugegen sein.
Die bedeutendste Aufgabe der Untergänger war die Überwachung und Instandhaltung der Grenzen.
Nach der Communordnung von 1758 hatte der Untergang – so wurde weitestgehend die Grenzbegehung genannt – regelmäßig im Frühjahr und im Herbst vor Ort stattzufinden.
Die Hochburg der Verzeugung war Württemberg. Man erkannte, dass sich mit diesen Zeugen, die Rechtswahrzeichen waren, die Gemeindehohheit darstellen ließ.
Jede Gemeinde versuchte deshalb bei der Beschaffung von Zeugen – diese wurden bei Häfnern, Töpfern oder Ziegölern in Auftrag gegeben – je nach Kassenlage die anderen Gemeinden zu übertreffen. Daraus resultiert in Württemberg eine unglaubliche Vielfalt in den einzelnen Regionen.

In der Sammlung von Horst Bäuerle befinden sich die hier gezeigten 4 Musbacher Grenzsteinzeugen.

Runder Tonzeuge von Untermusbach
Runder Tonzeuge von Untermusbach

Untermusbacher Zeuge von 1937, also aus dem Jahr vor der Eingliederung von Obermusbach nach Untermusbach. Der Zeuge hat einen Durchmesser von 5,8 cm.  

Runder Tonzeuge von Obermusbach
Runder Tonzeuge von Obermusbach

Obermusbacher Zeuge von 1937, also aus dem letzten Jahr der Selbstständigkeit von Obermusbach vor der Eingliederung nach Untermusbach. Die Bedeutung des Symboles ist noch nicht geklärt.
Der Zeuge hat einen Durchmesser von 5,8 cm. In den Beilagen zum Gemeinderechnungsbuch Untermusbach vom Jahr 1950 findet sich ein Hinweis auf die Grenzsteinzeugen. Anfang 1949 befanden sich im Lager der Gemeinde Untermusbach 343 runde Grenzsteinzeugen. Im Jahr 1950 wurden hiervon 55 Stück bei der Setzung der Grenzsteine eingebaut. Es Verblieb eine Restmenge von 181. Die Fehlmenge wird mit falschen Zählungen nach dem Sturz (Ende des Krieges?) erklärt.

Vorratsverzeichnis von Zeugen im Gemeinde Lager
Vorratsverzeichnis von Zeugen im Gemeinde Lager im Jahr 1950

Untermusbacher Grenzsteinzeuge aus dem Jahr 1957. Größe 6,2 x 6,1 cm.

Untermusbacher Zeuge von 1957
Untermusbacher Zeuge von 1957
Untermusbacher Zeuge von 1963
Untermusbacher Zeuge von 1963

Untermusbacher Grenzsteinzeuge aus dem Jahr 1963. Dies ist vermutlich die erste Zeugenserie mit dem 1958 eingeführten neuen Untermusbacher Wappen. Größe 6,2 x 6,2 cm.
Hinweis: Grenzsteine und Grenzsteinzeugen sind Kleindenkmäler und deshalb geschützt. Das Entfernen ist bei Strafe verboten.  

Geheime Grenzsteinzeugen, ein Buch von Horst Bäuerle
Geheime Grenzsteinzeugen, ein Buch von Horst Bäuerle

Die Geschichte der Grenzsteinzeugen wurde mit freundlicher Genehmigung vom Autor Horst Bäuerle aus Freudenstadt seinem Buch „Geheime Grenzsteinzeugen“ entnommen. Das Buch ist beim Autor und in Buchhandlungen in Freudenstadt und Baiersbronn erhältlich. Horst Bäuerle hat aus seiner umfangreichen Sammlung dem Landkreis Freudenstadt 377 Zeugen gestiftet, die im Vermessungsamt Freudenstadt auf Tafeln besichtigt werden können.

Textabschnitte aus dem Buch „Geheime Grenzsteinzeugen“ ISBN 978-3-87863-174-3 von Horst Bäuerle.
Aufgeschrieben von Hans Rehberg.

Letzte Änderung am 19.03.21