Rückblicke auf die Jahre 1852 bis 1858
aus „Der Grenzer“ von 1859
In der Tageszeitung „Der Grenzer“ von 1859 findet sich am 9.März 1859 ein Rückblick der Bezirksverwaltung auf die letzten 7 Jahre. Dieser Artikel beschreibt schön das 19te Jahrhundert im Oberamt Freudenstadt.
Rückblicke auf die Bezirksverwaltung in den letzten 7 Jahren.
Im Jahr 1852 lagen Handel und Gewerbe schwer darnieder. Die vorausgegangenen politischen Stürme hatten das Vertrauen untergraben, ungenügende Ernten, namentlich die Kartoffel-Krankheit die Lebensmittel vertheuert.
Bei mangelndem Erwerb und hohen Fruchtpreisen mußte Noth und Elend eintreten. Diese Lage steigerte sich in den nassen Jahren 1852 und 1853 bis zum Frühjahr 1854 in wirklich jammervoller Weise.
Ein großer Theil des Bezirks wurde durch Hagelschlag heimgesucht. Häuser und Felder verloren den Werth, der Credit war verschwunden; Brand und Gantfälle (Gant = Insolvent) gehörten zur Tagesordnung.
Bettel, Diebstahl u. Landstreicherei nahmen so sehr überhand, daß Tausende von Untersuchungen geführt und die stets überfüllten Gefängnisse vergrößert werden mußten.
Ein Transport löste den anderen ab und die Amtspflege hatte sehr große Verpflegungskosten zu bezahlen.
Hunger, Kummer und Krankheit waren überall. Bezahlen konnte und wollte Niemand mehr. Die Schuldklagen blieben unerledigt und bei den Gemeinden wuchsen Ausstände auf, die Steuerlieferung stockte und die Amtspflege war gegen die Staatskasse immer mit vielen tausend Gulden im Rückstand, so daß die Königliche Kreis-Regierung einmal dem Oberamt bemerkte, der Bezirk Freudenstadt seie immer am weitesten zurück.
Das Oberamt mußte sich hierüber in jedem Monat gegen zwei Oberbehörden verantworten.
In vielen Gemeinden mußten, um den Gemeinde-Haushalt nicht ganz stocken zu lassen, fortwährend Presser und Exekutions-Commissäre abgeschickt werden. In diesen Jahren war es die erste Aufgabe der Bezirksverwaltung, für Beschäftigung und Unterstützung der Armen zu sorgen. Es wurden neue Industriezweige, die Wollstrickerei, die Weißstrickerei, die Wurzelbürstenfabrikation, das Strohflechten, die Zündhölzerfabrikation, Strick- und Nähschulen usw eingeführt, außerordentliche Wald- und Weggeschäfte vorgenommen, Vieh-Einstell-Anstalten errichtet usw.
Allen ärmeren Gemeinden wurden viele u. zum Theil bedeutende Beiträge von der Centralleitung des Wohlthätigkeitsvereins und durch verschiedene Sammlungen verschafft, in denselben überall Suppen-Anstalten eingeführt und Austheilungen von anderen Lebensmittel angeordnet. Hierbei hatte sich die Bezirks-Verwaltung der Mitwirkung vieler Armen-Vereine, namentlich auch der Vereine gegen Kinder- u. Handswerksburschen-Bettel zu erfreuen, deren Wirksamkeit rühmende Anerkennung verdient.
Verschiedene oberamtliche Anordnungen gegen den Bettel und die Landstreicherei, namentlich das jedesmalige Zurückliefern an die Heimath-Behörden, haben sich als zweckmäßig erprobt.
In vielen Gemeinden wurden mit schweren Kosten große Auswanderungen veranstaltet. Mit vielem unnützen Volk zogen aber auch bessere Arbeitskräfte über das Meer.
In dieser traurigen Nothzeit wollte Niemand mehr Orts-Vorsteher oder Gemeinderechner sein; in einigen Gemeinden kamen schwere Unthaten vor. Es mußten nicht weniger als 46 Ortsvorstehers-Wahlen vorgenommen werden.
Nur in wenigen Gemeinden war der Stamm mit fremden Zweigen zu propfen und nicht eine einzige Gemeinde verfiel der besondern Staats-Fürsorge, während dies anderwärts bei ähnlichen Verhältnissen vielfach der Fall war.
Als Viele nicht mehr auf eine bessere Zukunft hofften, trat im Frühjahr 1854 wie durch Wunder eine günstige Wendung ein. Während die Lebensmittelpreise allmählig erträglicher wurden, hoben sich die Holzpreise; Handel u. Gewerbe erholten sich, der Credit kehrte zurück, der Boden gewann wieder besseren Werth.
Mit der Abnahme der Kartoffelkrankheit traten bessere Zeiten ein und jetzt erst war es möglich, die vorher schon vielfach versuchte Verbesserung der Gemeinde-Zustände herbeizuführen. Die Straßen u. Wege wurden wesentlich verbessert, der Baumsatz an den Straßen hergestellt, Wegweiser, Orts- und Markungstafeln überall neu gefertigt, die Ort-Etter gereinigt und Kanäle und Dohlen verlangt.
Alle Dungstätten mußten eingemacht und mit vorschriftsmäßigen Jauchegruben versehen werden. Es sollte diese Maßregel nicht blos zur Reinlichkeit und Ordnung in den Straßen und Höfen, sondern hauptsächlich auch zur besseren Ansammlung und Verwendung der den magern Feldern des Bezirks so nothwendigen Dungstoffe führen. Der Dung, der unordentlich im Hof, auf der Straße und Gasse umherfährt, vom Regen ausgewaschen und von der Sonne ausgtrocknet wird, verliert allen Gehalt und die Jauche, die ungesammelt abfließt, gibt zwar fette schmutzige Straßen und Höfe, aber die Felder bleiben dabei mager und unfruchtbar.
Wo Unreinlichkeit herrscht, ist Krankheit (Krätze) und Unordnung. Durch Ordnung im Hof soll auch Ordnung im Haushalt und in der Familie geschaffen werden. Aber Viele ließen sich lieber strafen, die Mehrzahl aber erkannte das Gute und erhielt Preise. Die Verzeichnisse hierüber dienen zur Beurtheilung der Bezirks-Angehörigen in allen künftigen Fällen.
Da der Bezirk bei seiner isolierten Lage bisher sehr an Communikations-Mittel Mangel gelitten hat, so sind ihm durch die Jahre langen eifrigen Bemühungen der Bezirks-Verwaltung neue Straßen von Freudenstadt über Lauterbad und Losburg nach Alpirsbach (in das Kinzigthal), durch das Glattthal nach Sulz (in das Neckarthal), über den Ruhestein in das Badische verschafft worden. Es wird demnächst der Schwanenhöflesstich bei Freudenstadt und der Stich bei Herzogsweiler korrigiert werden und es finden gegenwärtig Verhandlungen über die Herstellung einer Straße von Freudenstadt über den Hirschkopf nach Besenfeld und Wildbad und über die Verbesserung der Straße zwischen Schömberg und Freudenstadt statt, welche bei allseitigem guten Willen zum Ziele führen müssen.
Auch schreitet die Verbesserung der Murgthalstraße auf badischem Boden nun rascher voran.
Der Gemeindehaushalt wurde überall bestmöglich geordnet, eine sichere, klare und durchsichtige Rechnungs-Ablegung eingeführt und dem Ausstandswesen, einem Krebsschaden, der weder bei der Gemeinde noch bei dem Schuldner gute ökonomische Verhältnisse aufkommen läßt, die größte Aufmerksamkkeit zugewendet. Es gibt in dessen Folge nur noch wenige Gemeinden im Bezirk, welche mit Ausständen zu kämpfen haben. Der größte Theil der Corporations- und Gemeindeschulden ist bezahlt und das Grundstocks-Vermögen ergänzt. Alle Rechnungen sind zu rechter Zeit gestellt, revidiert und abgehört, alle Ruggerichte zur Verfallszeit abgehalten und dabei Anordnungen getroffen worden, welche bei vollständiger Befolgung zum Guten führen müssen.
Da die übermäßige Benützung des Wald-Vermögens auf Generationen hinaus nachtheilig wirkt, so ist überall die Aufstellung geeigneter Wirthschaftspläne angeordnet und die Einhaltung derselben mit Strenge kontrolliert worden.
Die Gesetze und Vorschriften wurden jeder Zeit mit Kraft in Vollzug gesetzt, die im Bezirk häufiger zur Anwendung kommenden allgemeinen Anordnungen immer vom Oberamt faßlich zusammengestellt und im Amtsblatt wiederholt bekannt gemacht, so daß Jeder genau wissen konnte, was er zu thun hatte. Auf sittliche Hebung des Bezirks wurde mit allem Eifer gesehen. Es blieb keine angezeigte, erweisbare Verfehlung ungerügt, und überall wurde zum Guten gemahnt.
Durch den strengen Vollzug der Bau- und Feuer-Polizei-Gesetze, und durch genaue Einhaltung der neuen Vorschriften über die Brandversicherung sind die früher so häufigen Brandfälle im Bezirk selten geworden.
Der im Jahr 1853 von dem Oberamtmann wieder ins Leben gerufene landwirtschaftliche Bezirks-Verein hat Männer zusammengeführt, welche vorzüglich zusammen paßten und die das Gute nicht nur zu fassen, sondern auch kräftig durchzuführen verstanden. Es wurde eine zweckdienliche Farrenschau eingeführt und daß sich hierbei herausgestellte Bedürfniß an Zuchtstieren jedesmal aus der Schweiz oder einer anderen geeigneten Gegend angeschafft. Der Viehstand hat sich hierdurch sichtbar gehoben. Es wurden von dem Verein mit schweren Kosten die schönsten englischen Zuchtschweine eingeführt und es werden demnächst zur Auffrischung dieser Rasse weitere angeschafft werden.
Durch ein sachverständiges Ausschuß-Mitglied (Hrn. Schultheiß Fischer in Unteriflingen) sind im Auftrag des Vereins für einige hundert Gulden verbesserte Acker-Geräte in Hohenheim aufgekauft und im Bezirk verbreitet worden, darunter der Flanderpflug und der neue amerikanische Wendepflug, der nun allgemein geschätzt wird.
Auf Veranlassung des Vereins erlernten 6 Schmid- und Wagnermeister in Hohenheim die Anfertigung verbesserter Acker-Geräte, zwei weitere Männer die Felder-Drainage und die Obstbaumzucht und es werden zu letzterem Zweck gegenwärtig wieder mehrere Personen nach Hohenheim geschickt. Es ist von dem Verein eine Röhren-Maschine mit Geräthen angeschafft worden, und es wird in diesem Frühjahr eine Bezirks-Baumschule hergestellt werden, welche den Zweck hat, in unserem Boden für unser Klima geeignete Obstbäume zu erziehen und allen Gemeinden des Bezirks Gelegenheit zu geben, junge Männer in dieser Schule für die Obstzucht ausbilden zu lassen. Erst alsdann wird ein verständiger Obstbau im Bezirk möglich werden. Der Leiter dieser Bezirksbaumschule ist von der Amtsversammlung zugleich als Oberamtsbaumwärter aufgestellt, mit der Verpflichtung, die Straßen soweit als möglich mit geeigneten Obstbäumen zu besetzen und allen Obstzüchtern des Bezirks mit Rath und That an die Hand zu gehen.
Es sind von dem Verein zu einer Zeit, wo noch Niemand daran dachte, (Gränzer von 1855) Winter-Abend-Lesevereine ins Leben gerufen und mit geeigneten landwirtschaftlichen Schriften versehen worden.
Auch unter den Ausschußmitgliedern sind viele praktische Schriften in Umlauf gesetzt und es wird diesen wichtigen Anstalten im nächsten Jahr ein größerer Aufschwung verschafft werden.
In jedem Jahr finden hier landwirtschaftliche Volksfeste statt, bei welchen Preise vertheilt und verbesserte Ackergeräthe herausgespielt werden. Es fand im letzten Herbst eine besuchte Obst-Ausstellung statt und am nächsten Jakobifest werden viele Acker-Geräthe und Gewerbs-Erzeugnisse ausgestellt werden. Es gibt dies Leben in die Bezirksstadt, welche desselben sehr bedarf.
Es ist Vieles im Bezirk besser geworden, und Manches kann noch besser werden. Da der Sinn für den Fortschritt geweckt ist, so kann ein Stillstand nicht mehr eintreten.
Möge uns der Himmel vor dem Wieder-Eintritt ungünstiger Zeiten behüten.
Ermittelt und aufgeschrieben von Hans Rehberg.
Letzte Änderung am 15.03.21